Philosophen des griechischen Wunders- sind sie längst überholt?

Philosophen des griechischen Wunders- sind sie längst überholt?

Thales und Anaximander aus Milet, Xenophanes von Kolophon, Parmenides und Heraklit- diese Namen klingen schon nicht mehr altbacken, sondern wie aus einer anderen Welt. All diese Philosophen, die auch als Vorsokratiker bezeichnet werden, lebten zwischen 700 bis 400 v.Chr.

Was vor so langer Zeit gewesen ist, kann doch heute keine Relevanz mehr haben, oder doch?

Sind die Gedankengänge der ersten Philosophen heute unwichtig geworden oder konnten die Themen mehr als 2400 Jahre lang überdauern?

Das griechische Wunder beschreibt die Zeit, in der in Griechenland ein Qualitätssprung der kulturellen Entwicklung erfolgte. Dieser Sprung vollzog sich in der Dichtkunst und Bildhauerei, in politischen Bereichen und eben auch in der Philosophie – eine Blütezeit des Intellekts. Ein genauer Anfang dieser Zeit lässt sich nicht festlegen.

Beginnen wir die Geschichte also einfach bei Thales von Milet (ca. 624- ca.547 v.Chr.), der unter anderem von Aristoteles als erster Philosoph bezeichnet wurde. Thales war z.B. der Meinung der Ursprung allen Lebens sei Wasser, wahrscheinlich, weil die Nahrung aller Lebewesen feucht sei. Weiterhin vertrat er die Meinung, die Erde würde wie ein Stück Holz auf Wasser treiben. Diese Dinge mögen für uns banal klingen, waren in Wahrheit jedoch revolutionär, denn Thales erschuf so eine Theorie über unseren Ursprung, völlig unabhängig von Göttern. Er gebrauchte sich keiner höhere Macht um sein Umfeld zu erklären, sondern lediglich seines Beobachtungssinnes.

Die philosophische Wichtigkeit Thales betonte Friedrich Nietzsche (1844-1900) noch unter einem anderen Aspekt: er sah in Thales “Wassertheorie” die Annahme, dass alles eins sei, da wir alle aus dem gleichen Stoff entstanden seien. Und laut Nietzsche würden alle Philosophen früher oder später auf diesen Satz “alles ist eins” stoßen und versuchen besser auszudrücken, was Thales bereit ca. 600 v.Chr. postulierte.

Als nächstes möchte ich euch Anaximander von Milet (ca. 610- nach 547 v.Chr.) vorstellen, der keineswegs mit Thales verwandt war, sondern nur aus der gleichen Stadt stammte. Anaximander sah unseren Ursprung in Fischen, die nach einiger Zeit aus dem Meer herausgestiegen und an Land gegangen seien. Eine erste richtige Evolutionstheorie. Weiterhin stellt er Regeln für die Natur auf, indem er einen Kreislauf der Dinge entwarf. Er meint so wie die Dinge entstünden, so fänden sie auch ihr Vergehen oder auch “Aus welchen (Dingen) die seienden Dinge ihr Entstehen haben, in diese findet auch ihr Vergehen statt, wie es sein muss, denn sie leisten einander Recht und Strafe für das Unrecht, gemäß der zeitlichen Ordnung.” Auffallend ist die politisierte Sprache, die er verwendete. Er erklärt die Welt so, als würde sie nach staatlichen Regeln funktionieren. Dieses Prinzip führt zu einem Weltbild, dessen Stabilität darauf beruht, dass alles früher oder später zur Rechenschaft gezoge würde.

Und schauen wir uns unsere Klimapolitische lage an, so werden wir dieses Phänomen bestätigt sehen. Wir zerstören unseren Planeten, doch was vergeht wird nicht unsere Erde sein, sondern wir. Die Natur bestraft den Sündiger. Ein Todesurteil, das viele Menschen noch nicht begriffen haben.

Werfen wir jetzt einen Blick auf Xenophanes von Kolophon (ca. 570- ca.478 v.Chr.). Er befasste sich mit der Gottesvorstellung seiner Zeitgenossen. Er war der Meinung, dass wir uns Gott menschlich vorstellen, liege daran, dass wir Menschen sind. Eine andere Vorstellung sei uns gar nicht möglich. Ein Löwe hingegen würde sich die Götter also in Löwengestalt ausmalen. So unterscheide sich jede Kultur in ihrer Gottesvorstellung, glaube aber eigentlich an ein und den selben. Außerdem war er der Meinung es könne nur einen größten Gott geben.

Xenophanes konzipiert hier also, für seine Zeit untypisch, ein monotheistisches Weltbild. Doch in seiner Philosophie liegt noch mehr versteckt. Er meint, wir Menschen könnten uns die Götter nicht anders, als menschlich, vorstellen. Die Freiheit unserer Gedanken so einzuschränken, erinnert stark an David Humes (1711-1776) Assoziationsgesetze. Denn laut Hume könnten wir uns nicht alles vorstellen und auch nicht so frei denken, wie es auf den ersten Blick vielleicht scheint. Er meint, all unsere Vorstellungen würden auf dem Verbinden, dem Transponieren, dem Vermehren, oder dem Vermindern von Sinneseindrücken beruhen.

Um das zu veranschaulichen bitte ich dich, dir eine Farbe vorzustellen, die es nicht gibt. Ich persönliche stoße hier an eine klare Grenze. Wie ich es auch drehe und Wende, es läuft darauf hinaus, dass ich mir eine Farbe vorstelle, die nur ein Gemisch bereits existierender Farben ist. Es geht nicht; ich kann mir keine völlig neue Farbe ausdenken.

Ein anderes klassischen Beispiel ist die “eierlegende Wollmilchsau”. Wenn wir uns sie vorstellen, verbinden wir lediglich uns bekannte Attribute von anderen Tieren und schaffen uns so die eierlegende Wollmilchsau. Wie frei wir in unserem Denken wirklich sind, ist eine Frage die uns heute noch beschäftigt. Wie abhängig ist unser Denken von sozialen Medien wie Instagram? Wie abhängig ist es vom politischen System oder vom Elternhaus? Wenn man daran denkt wie viele Hitlers menschenunwürdiger Ideologie gefolgt sind (oder auch wieder folgen) oder das immer noch Millionen Frauen meinen, sie wären das unterlegene Geschlecht, scheint es als wären wir die Marionette unseres Umfelds.

Aber natürlich gibt es auch Gegenbeispiele wie Sophie und Hans Scholl oder Louijan al-Hathloul, die in Saudi-Arabien dafür kämpfte, dass Frauen endlich Auto fahren dürfen. Die Zutaten und Dosierungen unseres “Denkcocktails” werden wir wohl nie kennen.

Parmenides (ca. 520- ca.460 v.Chr.) wird als Begründer der Ontologie bezeichnet. Die Ontologie ist die Lehre vom Sein. Er beschäftigte sich unter anderem mit dem Verhältnis von Sein und Nichtsein. Dabei entwirft er drei verschiedene Arten (oder laut ihm Wege), sich dieses Verhältnis vorzustellen, wobei nur die erste der Wahrheit entspräche, auch wenn sich niemand streng nach ihr richte. Der erste Weg lautet: Seiendes ist und es ist unmöglich, dass etwas nicht ist.

Der zweite Weg lautet: Es (das Seiende) ist nicht oder auch Nichtseiendes ist. Da wir jedoch etwas, das nicht ist, nicht sehen können und “Nichtseiendes ist” schon ein logischer Widerspruch in sich ist, tut Parmenides 2. als “unbefahrbaren Pfad” ab. Der dritte Weg lautet Seiendes ist und Nichtseiendes ist. Dies sei die alltägliche Sicht, von der wir Menschen gebrauch machen würden. Zum Beispiel sagen wir oft Dinge wie: “Das gibt es nicht mehr.” Oder: “Das gibt es noch nicht.” Wir ziehen keine harte Grenze zwischen Sein und Nichtsein. In dem Weg, den Parmenides für den wahren Weg hält, gibt es keinen Übergang zwischen Sein zu Nichtsein. Etwas anschaulicher lässt sich dies vielleicht mit dem Energieerhaltungssatz erklären. Energie kann weder entstehen, noch vergehen. Sie kann lediglich in andere Formen (z.B. mechanische, thermische, elektrische Energie) umgewandelt werden. Sie existiert also schon immer und wird es auf ewig tun. Parmenides entwirft hier das “alles-ist eins-Bild”, das wir bereits von Thales kennen, denn es gäbe nicht mehrere Seiende, sondern einfach das Seiende. So begründet er auch seine Annahme die Vielheit der Welt sei bloße Einbildung, denn eigentlich sei alles eben nur eines: seiend. Wenn es nur das Seiende gäbe, so ließe sich auch kein Anfang und kein Ende für das Seiende festlegen, denn wenn das Seiende irgendwann entstanden wäre, so hätte aus etwas Nichtseiendem etwas Seiendes werden müssen. Und dies könne nie “erzwungen werden”. Weil das Seiende also ohne Anfang und ohne Ende ist, beschreibt Parmenides es als kugelförmig. Diese Einheit des Seiendem führe dazu, dass sich nichts verändern könne. Alles stehe still. Das mag ziemlich abstrakt und vielleicht auch langweilig klingen, dennoch gibt es immer wieder neue Gedanken zum Thema Sein und Nichts. Kitaro Nishida (1882-1959), ein japanischer Philosoph, ist z.B. der Meinung das “absolute Nichts” sei die Basis für unsere Wirklichkeit. Ebenfalls interessant ist es, sich in diesem Zusammenhang die Definitionen von “Nichts” in anderen Sprachen anzuschauen. Auf Chinesisch meint Nichts z.B. Abwesenheit von Sein, während es im Deutschen oft als Gegensatz zum Sein beschrieben wird.

Aber was heißt denn eigentlich sein? Kann man passiv oder aktiv sein, so wie man passiv und aktiv leben kann? Vielleicht gerade weil dieses Thema einem im Alltag nicht oft begegnet, weil man nicht oft darüber nachdenkt, scheint es auch nach 2400 Jahren nicht erschöpft zu sein, aber vielleicht kannst du die gestellten Fragen ja für dich persönlich klären.

Von Heraklit (ca. 520- ca. 460 v.Chr.) stammt der berühmte Satz “alles fließt”. Anders als Parmenides war er der Meinung alle Dinge seien wandelbar. Es würde einen ständigen Umschlag von z.B. Ermüdung zu Ausruhen, von Krankheit zu Gesundheit, von Hunger zu Sättigung geben. Diese Dinge würde gegenseitig ihr Sein bestimmen, denn wie sollten wir wissen, was es heißt wach zu sein, ohne zu wissen, wie es ist müde zu sein? Aufgrund dieser ständigen Veränderung sei es unmöglich zweimal in denselben Fluss hineinzusteigen. Diese letzte Annahme könnte sich glatt in einem “Wie-man-Glücklich-wird-Ratgeber” wiederfinden und als nächstes würde dann gesagt werden, man solle den Moment stehts genießen, weil er so nie wieder käme.

Ihr habt bestimmt bemerkt, das auch wenn viele Ideen der Philosophen des griechischen Wunders aus heutiger wissenschaftlicher Sicht totaler Stuss sind, sich doch unglaublich viele Analogien zu ihren Theorien finden lassen. Ebenso unerschöpfbar wie die Auseinandersetzung mit philosophischen Fragen scheinen die Anknüpfungspunkte, sowohl zu anderen Philosophen, als auch zur Jetztzeit. Die Philosophien wurden aufgegriffen, abgelehnt, diskutiert, erweitert, verfeinert aber (abgesehen von den wissenschaftlichen Aspekten) sicherlich nicht überholt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert